Jahr 2023

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Resilienz der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur in Deutschland

  Unsere Position erschienen in Ausgabe 4/2023 Resilienz der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur in Deutschland In Deutschland zeichnet sich die Wasserver- und Abwasserentsorgung durch hohe Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit aus. Sauberes Trinkwasser und eine gute Abwasserreinigung sind – noch – selbstverständlich. Damit dies so bleibt, ist eine Erhöhung der Investitionen in die Abwasserinfrastruktur zwingend erforderlich. Dies macht auch die Studie zum Zustand der Kanalisation in Deutschland, herausgegeben von der Deutschen Vereinigung für Wasser, Abwasser und Abfall (DWA), deutlich. Bereits heute weist jeder fünfte Kanalabschnitt (18,7 %) sofortigen bis kurzfristigen Handlungsbedarf auf. Weitere 29,6 % der Kanäle erfordern mittelfristigen Handlungsbedarf und nur 26,9 % sind schadensfrei. Bei 24,8 % ist der Zustand der Kanäle nicht bekannt. Ähnlich wie bei der maroden Brückeninfrastruktur in Deutschland kann es, bei mangelnder Investition und fehlendem Bewusstsein, auch in der Wasser- und Abwasserinfrastruktur zu nachlassender Qualität und reduzierter Sicherheit führen. Die Folgen wären unter anderem eine Gefährdung des Grundwassers bei Exfiltration von Abwasser, eine hohe Belastung der Kläranlagen durch Infiltration von Grundwasser in die Kanäle und hohe Verluste bei den Wasserversorgungsleitungen. In der Konsequenz würden unmittelbar die Gesundheit und die Lebensqualität der Menschen in unserem Land beeinträchtigt werden. Darüber hinaus gilt es, die aktuell aufgrund des Klimawandels steigenden Anforderungen an das Entwässerungssystem zu meistern. Dazu gehören unter anderem die Ableitung der zunehmend auftretenden Starkregenereignisse sowie die Herausforderung, anfallendes Regenwasser lokal wieder zu versickern, statt es über Kanäle abzuleiten, um die Grundwasserneubildung zu fördern. Denn sinkende Grundwasserspiegel gefährden die sichere Wasserversorgung zunehmend. Die Wasser- und Abwasserinfrastruktur zählt zur kritischen Infrastruktur, sodass alles darangesetzt werden sollte, diese zu erhalten und generationenübergreifend zu sichern. Dazu müssen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter anderem: Inspektionsraten erhöhenDie Inspektion der Kanäle bildet die Datengrundlage für eine sich anschließende Maßnahmenplanung, sowohl für kurzfristige als auch für langfristige, strategische Ziele der Abwasserinfrastruktur. Personalressourcen erschließen und sichernDer Fachkräftemangel macht auch vor der Wasserwirtschaft nicht halt. Für die Sicherheit und Resilienz der Wasser- und Abwasserinfrastruktur sind qualifizierte Fachkräfte in den Bereiche Betrieb, Planung und Verwaltung essenziell. Hier sollte von Bund, Ländern und Kommunen die Aufmerksamkeit für diese wichtigen Aufgaben und beruflichen Möglichkeiten erhöht werden. Bereits in Schulen sollte auf die Bedeutung der Wasser- und Abwasserinfrastruktur als Fundament der Daseinsvorsorge aufmerksam gemacht werden. Erneuerungsraten erhöhenZur langfristigen (Wert-)Erhaltung des Kanalnetzes bedarf es einer grundlegenden Erhöhung der jährlichen Erneuerungsrate. Eine Vielzahl an Sofort-Maßnahmen („Feuerwehrstrategie“), schwerpunktmäßig an Reparaturen mit kurzfristigem Effekt ausgerichtet, führt nachweislich mittelfristig lediglich zu einer Verschiebung des Sanierungsbedarfs in die Zukunft. Transparenz und Offenheit schaffenInvestitionen und Baumaßnahmen erfordern das Verständnis von Bürger:innen. Hier ist die rechtzeitige Information sowohl über den Netzzustand als auch über anstehende Maßnahmen zum Erhalt der Wasser- und Abwasserinfrastruktur zu empfehlen. Investitionen erhöhenGezielte Erhöhungen von Investitionen in die Wasser- und Abwasserinfrastruktur sind notwendig, um den Sanierungsbedarf signifikant zu reduzieren und dringend erforderliche Sanierungsmaßnahmen umzusetzen. Die aktuelle Sanierungsleistung von jährlich etwa1 % des rund 594.000 km langen Kanalnetzes in Deutschland reicht dazu nicht aus. Hierdurch wird die Substanz sukzessive aufgebraucht. Fazit Wie oberirdische Straßen und Brücken müssen auch unterirdische Leitungs- und Kanalnetze instandgehalten und nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer erneuert werden. Um zu gewährleisten, dass die Netze von heute auch morgen noch zuverlässig funktionieren, sind Erhöhungen der Investitionen notwendig. Nur eine bewusste und strukturierte Netzpflege, Erhaltung, Sanierung und Erneuerung tragen zu einer Resilienz der kritischen Infrastruktur der Wasserver- und Abwasserentsorgung bei. Zahlen, Daten und Fakten (Quelle: Politikmemorandum DWA 2023) Autorin: Diana Krüger Zurück

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Verbesserte Bedingungen für Großraum- und Schwertransporte

  Unsere Position erschienen in Ausgabe 4/2023 Verbesserte Bedingungen für Großraum- und Schwertransporte zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und für den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft Die Bundesregierung hat sich eine wettbewerbsfähige und effiziente Wirtschaft unter anderem in Verbindung mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zum Ziel gesetzt. Damit der dafür notwendige tägliche Neubau von sechs Windenergieanlagen gelingen kann, sind aufgrund der Größe und des Gewichts der benötigten Bauteile allein in diesem Wirtschaftsbereich jährlich rund 60.000 Großraum- und Schwertransporte (GST) notwendig. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass neben dem Ausbau der Windenergie auch GST für den Transport von Maschinen und Anlagen sowie den Ausbau der Infrastruktur (zum Beispiel Brückenbau, Tiefbau, Wasserbau) und den Wohnungs- und Gewerbebau von entscheidender Bedeutung sind. Ohne Krane, Baumaschinen, Metall- und Stahlbetonbauteile sind die für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtigen Baumaßnahmen nicht umsetzbar. Aber auch für die Landwirtschaft und Schausteller sind Großraum- und Schwertransporte von existentieller Bedeutung. Derzeitig behindern insbesondere vermeidbare Bürokratiehürden und Defizite in der Verkehrsinfrastruktur und der Digitalisierung diese zwingend erforderlichen Transporte. Die deutsche Wirtschaft ist dringend auf ein transparentes, verlässliches und vor allem praktikables System zur Genehmigung und Durchführung von GST angewiesen. Die Verbändeinitiative Großraum- und Schwertransporte (VI GST), ein Zusammenschluss von über 20 (Anmerkung: Stand 20.06.2023; inzwischen über 30) Verbänden der deutschen Wirtschaft und der Transportbranche, hat hierzu nachfolgende Lösungsvorschläge erarbeitet: 1. Zweckdienliche Regelungen für GST schaffen a) Fahrzeugcluster einführen Jedes Fahrzeug, mit dem ein GST durchgeführt werden soll, bedarf einer gesonderten Genehmigung. Dies verursacht allein wegen der unterschiedlichen technischen Beschaffenheit der Fahrzeuge zusätzliche Genehmigungsanträge. Beispielsweise ist die Bauindustrie auf einen flexiblen Einsatz der Fahrzeuge des jeweiligen Fuhrparks angewiesen, um rechtzeitig Bauteile zur Baustelle zu transportieren. Dies wird durch Rn. 95 der Verwaltungsvorschrift (VwV) zu § 29 Absatz 3 StVO jedoch konterkariert, da sie keine Toleranzen bei der technischen Beschaffenheit des Fahrzeugs zulässt. Zu beachten ist hier, dass größere Unternehmen häufig über eine Vielzahl von Zugfahrzeugen und Anhängern verfügen, die entweder vom gleichen Typ sind oder deren unterschiedliche Achsabstände keine nennenswerten Auswirkungen auf die Verkehrsinfrastruktur haben. Das führt zu weniger Flexibilität bei den Projekten. Für Transportunternehmen ist bei der Planung eines GST nicht immer vorhersehbar, welches Fahrzeug konkret zum Transportzeitpunkt zur Verfügung steht. Deshalb sind Transportunternehmen wegen der oben genannten Regelung häufig gezwungen, viele weitere Anträge (bis zu zehn) vorsorglich zu stellen, um eine Genehmigung für das zum Transportzeitpunkt verfügbare Fahrzeug zu erlangen. Diese Antragsflut ist für die Verwaltung als auch für die Transportunternehmen eine vermeidbare Belastung. Um diese Belastung zu verhindern und eine für die Unternehmen erforderliche Flexibilität zu schaffen, könnten GST-Fahrzeuge in Fahrzeugkombinationsgruppen zusammengefasst werden, bei denen Toleranzen bei den Achsabständen der Fahrzeuge gelten. Dies unter der Bedingung, dass die Fahrzeuge die gleiche Anzahl an Achsen vorweisen. Die Toleranzen bei Achsabständen könnten durch allgemeingültige „von… bis zu…“-Formulierungen in den Verwaltungsvorschriften geregelt werden. b) Unterschreitungen genehmigter Abmessungen/Gewichte wieder mitgenehmigen Durch Änderung der VwV zu § 29 Absatz 3 StVO ist eine Unterschreitung der Abmessungen der Ladung von mehr als 15 cm und/oder des Gewichts von mehr als 5 % nicht mehr möglich. Im Falle einer solchen Unterschreitung muss eine neue Genehmigung beantragt werden. Dies verursacht vermeidbare Anträge, die Genehmigungsbehörden und Transportunternehmen gleichermaßen belasten. Vor der Änderung der VwV zur StVO galten diese geringfügigen Unterschreitungen als mitgenehmigt. Die VwV zur StVO sollte geändert werden, sodass diese Unterschreitungen nach dem verwaltungsrechtlichen Grundsatz „maius minus continent“ (das Größere schließt das Kleinere mit ein) wieder mitgenehmigt werden. Für die vorgenannten Punkte bedarf es einer zeitnahen Anpassung der einschlägigen Verwaltungsvorschriften! 2. Antrags- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und optimieren Genehmigungsverfahren für GST dauern aktuell bis zu mehreren Monaten. Auskünfte, wann die Genehmigung erteilt wird, können die Behörden aufgrund von Überlastung – für 2022 fielen allein circa 330.000 Genehmigungsanträge an – oft nicht geben. Deshalb sind die Transporte für die Wirtschaft oftmals nicht planbar, was zu gestörten Lieferketten, Bauabläufen und deutlichen Kostensteigerungen führt. Unternehmen erhalten Bescheide, die 200 Seiten umfassen. Grund: Alle in Betracht kommenden Auflagen werden beigefügt, auch wenn sie später für den konkreten Transport nicht relevant sind. Die VwV sollte für die genehmigenden Behörden nachvollziehbar gestaltet werden, damit Bescheide auch für Unternehmen verständlicher werden. 3. VEMAGS neu denken – Einführung eines Geoinformationssystems für GST Die Digitalisierung des Antrags- und Genehmigungsverfahrens durch VEMAGS ist bisher nicht gelungen. Dies zeigt sich bereits daran, dass Antragsdaten vom antragstellenden Transportunternehmen händisch eingegeben werden müssen. VEMAGS stellt nur ein automatisiertes Verfahren dar. Es bedarf jedoch eines digitalen Austauschs von allen Daten zwischen den IT-Systemen der transportdurchführenden Unternehmen innerhalb eines gemeinsamen Geoinformationssystems. Einige Schwertransportunternehmen verfügen bereits über Scan-Fahrzeuge und elektronische sowie selbstlernende Schwerlastkarten. Zudem sollte in einem solchen Geoinformationssystem die Abwicklung aller Prozesse rund um die Durchführung eines GST vereint und sowohl von Wirtschaft als auch von den Behörden genutzt werden können. Beantragung, Planung und Genehmigung sollten also neu gedacht, standardisiert und digitalisiert werden! 4. Einheitliche und kalkulierbare Gebühren Die Multiplikatoren und Formeln des Anhangs zur Gebühren-Nummer 263.1.1 GST werden von den einzelnen Behörden unterschiedlich angewendet. Unterschiedliche und zum Teil zehnfach höhere Gebühren im Vergleich zu früher erschweren die Kalkulation. Es sollten – unter Einbeziehung der Fachverbände – bundeseinheitliche Kriterien zur Anwendung der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) geschaffen werden. Zudem sollten zwecks Transparenz Gebührenbescheide zukünftig eine Aufschlüsselung der Gebührenzusammensetzung enthalten. Die Gebührenordnung ist dringend hinsichtlich Struktur, Gebührenhöhe und einheitlicher Anwendung zu überarbeiten. GST werden durch kommunale Sondernutzungsgebühren (zum Beispiel Lüdenscheid, München) für die verladende Industrie weiter verteuert. Die kommunalen Sondernutzungsgebühren sollten daher abgeschafft werden. 5. Verkehrsinfrastruktur erhalten, ausbauen und effektiver nutzen Die marode Verkehrsinfrastruktur – insbesondere im Bereich der Brücken – stellt eine erhebliche Behinderung für die GST dar. Sie führt zu erheblichen Umwegen, Zusatzbelastungen der Ausweichstrecken und erhöht dadurch CO2-Emissionen. Die Infrastruktur (Straße, Schiene, Wasserstraße) sollte daher umgehend und gezielt instandgesetzt und, wo notwendig, ausgebaut werden. Es wird in diesem Zusammenhang gefordert, prioritär bundesweite Schwerlastkorridore auszuweisen und diese digital den Antragstellern zur Verfügung zu stellen. 6. Fachkräftemangel entgegenwirken Vorhandenes Personal bei Genehmigungsbehörden und der Autobahn GmbH des Bundes sollte mehr geschult und durch digitale Prozesse (zum Beispiel automatische Routenberechnung) entlastet werden. Denn gut geschultes Fachpersonal, das bei wiederkehrenden Prozessen beispielsweise durch

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Versickerungsfähige Pflasterbefestigungen als Beitrag zur Klimaresilienz

  Unsere Position erschienen in Ausgabe 2/2023 Versickerungsfähige Pflasterbefestigungen als Beitrag zur Klimaresilienz Versickerungsfähige Pflasterbefestigungen sind ein wichtiger Beitrag zu einem interdisziplinären Konzept der Regenwasserbewirtschaftung, das wir „Schwammstadt“ nennen. Dadurch können Überflutungen verringert, das Stadtklima verbessert, die Gesundheit von Stadtgrün gesteigert und im Ergebnis die Resilienz des gesamten urbanen Ökosystems gefördert werden. Versiegelte Verkehrsflächenbefestigungen, zu denen zum Beispiel Asphalt- und Ortbetonbefestigungen zählen, bieten in der Regel nicht die Vorteile für eine erhöhte Versickerung, Rückhaltung und Verdunstung des anfallenden Regenwassers innerhalb der Befestigung selbst. So müssten zur Minderung von Klimawandelfolgen unter Umständen zusätzliche unter- oder überirdische Überflutungsflächen – sogenannte Retentionsräume – geschaffen werden, die sehr kostenintensiv sein können und für die im Bestand oftmals gar nicht der nötige Platzbedarf zur Verfügung steht. Versickerungsfähige Pflasterbefestigungen, zum Beispiel mit Betonsteinen, sind daher ein essentieller Baustein der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung. Die Bauweise kann überall dort angewendet werden, wo die Verkehrsbelastung ein gewisses Maß nicht übersteigt und wasserwirtschaftliche Aspekte nicht dagegensprechen. In kommunalen Bereichen, wie auch im privaten Wohnumfeld, gibt es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für diese vorteilhafte Bauweise. Versickerungsfähige Betonpflasterbefestigungen sind ein technisch ausgereiftes und wirtschaftliches Element mit einer Reihe von Vorteilen, die über die reine Funktionalität hinausgehen, wie zum Beispiel die Gestaltungsvielfalt. Versickerungsfähige Pflasterbefestigungen sollten daher stärker als bisher in den zuständigen Landesregelungen und Gemeindesatzungen als obligatorischer Bestandteil von Regenwassermanagement- und Schwammstadtkonzepten berücksichtigt werden. Sie sollten zur Befestigung von Verkehrsflächen überall dort gefordert werden, wo es technisch möglich und aus wasserwirtschaftlichen Gründen vertretbar ist. Autor: Dietmar UlonskaBildrechte: © Kronimus AG Zurück

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Schneller bauen mit Fertigteilen

  Unsere Position erschienen in Ausgabe 1/2023 Schneller bauen mit Fertigteilen Die Wohnungsnot in Deutschland ist so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr. Von Woche zu Woche verschärfen sich die Meldungen über die Probleme auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland. Die Kosten werden immer höher und das Angebot immer knapper. Unter der Überschrift „Zwei Zimmer, Küche, keine Chance“ fasst die Süddeutsche Zeitung das aktuelle Problem zusammen. Seit Jahren verfolgt die Bundesregierung das Ziel, 400.000 neue Wohnungen im Jahr fertigzustellen. Leider wird dieses Ziel Jahr für Jahr nicht erreicht. Zurzeit ist von Fertigstellungsquoten von unter 300.000 neuen Wohnungen die Rede. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung, den Neubau anzukurbeln, sind ganz offensichtlich unzureichend. Zu sehr dominieren steigende Preise für Rohstoffe sowie steigende Hypothekenzinsen und die unsicheren Lieferketten das Baugeschehen. Hinzu kommt der immer eklatanter werdende Arbeits- und Fachkräftemangel. Ferner gibt es auch im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Bauland große Wirtschaftlichkeitslücken, die aufgrund der hohen Kosten dem Neubau entgegenstehen. Um dem Wohnungsnotstand zu entkommen, spricht sich die Politik schon seit längerem für serielles und industrielles Bauen aus. Insgesamt erfreut sich die Errichtung von Nichtwohngebäuden unter Zuhilfenahme von großformatigen und tragenden Fertigteilen einer immer größer werdenden Beliebtheit. Nur im Wohnungsbau scheint dieser Trend noch nicht angekommen zu sein. Nach wie vor dominiert der „konventionelle“ Wohnungsbau. Des Weiteren zeigen statistische Daten aus dem Jahr 2020, dass Holz der dominante Wandbaustoff ist, wenn es um den Einsatz von industriell vorgefertigten Bauteilen im Wohnungsbausegment geht. Es ist daher an der Zeit, dass die offenkundigen Vorteile der industriellen Vorfertigung von Betonbauteilen stärker im Rahmen des Wohnungsbaus berücksichtigt werden. Die Eigenschaften für den Einsatz von Betonbauteilen sind unbestritten: Durch die Vorfertigung lassen sich Montagezeiten auf der Baustelle und damit auch Baukosten erheblich reduzieren. Die geringe Baufeuchte der Montagebaustelle ermöglicht ein schnelles Weiterarbeiten der Ausbaugewerke. Dadurch kann das Gebäude schneller genutzt werden. Der Einsatz von Personal und energieintensiven Baumaschinen wird reduziert, wodurch gleichzeitig die Lärm- und Staubimmissionen verringert werden. Betonbauteile sind extrem widerstandsfähig und langlebig. Die hohe Dauerhaftigkeit von Beton sorgt dafür, dass Wohnhäuser über einen Zeitraum von weit über 80 Jahren genutzt werden können, bevor sie ersetzt und neue Ressourcen in Anspruch genommen werden müssen. Die Wärmespeicherfähigkeit des Betons wirkt sich positiv auf das Raumklima aus und reduziert den Heiz- und Kühlbedarf von Gebäuden. Gleichzeitig verringern sich im Jahresverlauf die Temperaturschwankungen von Gebäuden, wodurch die Energieeffizienz gesteigert und die CO2-Emissionen gesenkt werden. Am Ende der Lebensdauer eines Gebäudes sind Betonbauteile durch ihre ökologische Qualität überzeugend. Denn sie lassen sich als Bauteile wiederverwenden oder vollständig recyceln und als Gesteinskörnung wieder einsetzen und bleiben so vollständig im Stoffkreislauf. Betonbauteile erleichtern die sortenreine Trennung bei Rückbau und Recycling. Dank eines engmaschigen Netzes von Betonfertigteilwerken in Deutschland können darüber hinaus lange Transportwege vermieden werden. Weshalb in Deutschland diese Vorteile im Wohnungsbau bisher nicht genutzt werden, darüber kann nur spekuliert werden. Unsere europäischen Nachbarn, wie zum Beispiel Großbritannien, setzen schon seit langem auf effizienten ressourcenschonenden Wohnungsbau mit vorgefertigten Betonbauteilen. Dabei zeigt sich, dass kein Bauherr auf die architektonische Vielfalt und Wohnqualität verzichten muss. Gerade dieses Stigma gilt es in den Köpfen der Architekt:innen zu überwinden, denn serielle Vorfertigung bedeutet nicht uniforme Gestaltung, sondern kann eine große Variationsbreite in der Gestaltung aufweisen. Wenn wir zukünftig mehr (bezahlbaren) Wohnraum in Deutschland schaffen wollen, kommen wir nicht umhin, die Potenziale der Vorfertigung auch im Wohnungsbau stärker zu berücksichtigen. Planungsmethoden wie Building Information Modeling (BIM) sowie die Entwicklung neuer Zemente und Betonrezepturen ermöglichen einen zeitnahen und anspruchsvollen Wohnungsbau, welcher gleichzeitig den Ansprüchen des ressourceneffizienten Designs genügt. Vorgefertigte Betonbauteile können daher zur Lösung der Wohnungsnot in Deutschland beitragen. Hierfür bedarf es allerdings auch einer Umsetzung in die Tat und den Mut, neue Wege zu gehen. So kann zum Beispiel die Vergabe von Fördermitteln mit der Forderung nach effizienteren Bauabläufen verbunden werden. Nur wenn der angestammte Trampelpfad verlassen wird, können statt Luftschlössern auch neue Wohnstätten entstehen. Bildrechte: AdobeStock_145583965 © Roman_23203 Zurück

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Die Planung muss von Anfang an fertigteilgerecht erfolgen!

  Unsere Position erschienen in Ausgabe 5/2022 Die Planung muss von Anfang an fertigteilgerecht erfolgen! Durch das Bauen mit Betonfertigteilen lassen sich schwer vereinbare Maßgaben gleichzeitig verwirklichen: kurze Bauzeiten und Wirtschaftlichkeit des Projekts, Ansprüche an die Qualität von Planung und Ausführung Abstimmung der architektonischen, statisch-konstruktiven, gebäudetechnischen und bauphysikalischen Anforderungen. Grundlage hierfür ist das Verständnis für fertigteilgerechte Konstruktionen und die Beachtung fertigteilspezifischer Grundsätze, sowie eine umfassende Vorplanung. Ein wesentlicher Vorteil des Betonfertigteilbaus resultiert aus der zeitgleichen Fertigung verschiedener Bauteile und der Herstellung gleichartiger Bauteile in kurzer zeitlicher Abfolge. Optimiert wird dieser Prozess durch große Serien, von vielen Bauteilen mit identischen Abmessungen, gleicher Bewehrungsführung und gleicher Lage der Einbauteile. Herstellungsaufwand und mögliche Fehlerquellen werden dadurch minimiert, was zu einer deutlichen Reduzierung der Schalungskosten führt (siehe Bild). Der Begriff „Serie“ darf im Bauwesen nicht missverstanden werden. Die Gesamtanzahl aller gleichen beziehungsweise gleichartigen Bauteile ist selbst bei großen Baumaßnahmen im Vergleich zur Massenfertigung anderer Industriezweige gering. Der moderne Betonfertigteilbau kann heutzutage eher mit dem Prinzip ‚Klasse statt Masse’ umrissen werden und spiegelt somit die gesteigerten Anforderungen an individuell gestaltete Bauwerke wider. Die in der Planung festgelegte Form der Fertigteile und damit der Aufwand für deren Entwicklung, Schalungsherstellung und Produktion haben erhebliche Auswirkungen auf die ‚optimale’ Seriengröße. Das Entwerfen mit Betonfertigteilen erfordert die frühzeitige Zusammenarbeit von Architekt:innen und Tragwerksplaner:innen. Insbesondere müssen Aspekte der Bauphysik und der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) zu einem möglichst frühen Zeitpunkt berücksichtigt werden, wenn sie einen maßgeblichen Einfluss auf Anordnung und Ausbildung der Tragstruktur haben. Vor Produktion der Bauteile müssen Installationsführung und erforderliche Öffnungen festgelegt sein. Darüber hinaus sollten rechtzeitig die Fachingenieur:innen der Fertigteilindustrie hinzugezogen werden. Diese sind mit dem aktuellen Stand einer wirtschaftlichen Fertigungstechnik vertraut und können die Realisierbarkeit der Entwürfe einschätzen. Der schnelle Baufortschritt mit Betonfertigteilen lässt keine Zeit für eine baubegleitende Planung. Notwendige Informationen für eine gute Planung Knotenverbindungen, Auflagerdetails, Fugen bauphysikalische und brandschutztechnische Bedürfnisse Installationsführungen und Öffnungen Herstellungsprozesse Transport- und Zufahrtswege Krankapazitäten Montageart und Montagefolge Digitale Planungsmethoden wie Building Information Modeling (BIM) gewinnen immer mehr an Bedeutung. Sie haben das Ziel, Gebäude ganzheitlich und effizient zu planen, zu errichten und zu bewirtschaften. Dabei bietet gerade die industrielle Vorfertigung von Betonbauteilen, bei der die Vernetzung zwischen Planung und Produktion mit standardisierten Schnittstellen schon lange praktiziert wird, enorme Potenziale in Hinblick auf Effizienz und Nachhaltigkeit. Ein fertigteilgerechter Entwurf muss die Besonderheiten der Bauweise von Anfang an berücksichtigen. Effiziente und flexible Abstimmungsprozesse im Projektteam, die frühe Einbeziehung der verschiedenen Fachplaner und eine abgeschlossene Planung bei Produktionsbeginn der Betonfertigteile sind hierfür unerlässlich! Fertigteilgerechter Entwurf Im Laufe der Jahrzehnte haben sich bestimmte Bauteilquerschnitte als besonders vorteilhaft und vielseitig erwiesen. Sie werden in Abwandlungen immer wieder verwendet. Doch auch typisierte Betonfertigteile sind keine Massenware, sondern „maßgeschneiderte“ Bauteile, da kein Fertigteil exakt dem anderen entspricht. Je mehr der folgenden Entwurfsgrundsätze beachtet werden, umso besser kommen die Vorteile von Betonfertigteilen, Qualität, Zeit- und Kostenersparnis, zum Tragen: Verwendung von typisierten Querschnitten und Verbindungen, gleichmäßiges Planungsraster und gleiche Geschosshöhen, möglichst viele gleiche oder ähnliche Elemente, Optimierung der Transportabmessungen und Montagegewichte. Es ist frühzeitig zu klären, ob ein Bauvorhaben komplett aus Fertigteilen hergestellt werden soll oder eine hybride Bauweise gewählt wird, bei der Teile der Konstruktion vor Ort betoniert werden. In diesem Fall muss der Schnittstelle Ortbeton-Fertigteilbau besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zurück

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