Unsere Position erschienen in Ausgabe 3/2021

Vergrabene Milliardenwerte

Aus dem Auge, aus dem Sinn?

Forderungen zur systematischen Bewältigung von Sanierungs- und Investitionsstau bei öffentlichen Entwässerungsnetzen
Die öffentlichen Entwässerungsnetze, als wesentlicher Bestandteil der unterirdischen Infrastruktur, fristen ein Schattendasein: Einst zur Eindämmung von Krankheitserregern gebaut, die sich über verseuchtes Wasser übertragen und zu hohen Sterblichkeitsraten im Laufe des 19. Jahrhunderts geführt haben, ist die Bedeutung der Abwasserableitung zur Erreichung hygienischer Lebensbedingungen, in Anbetracht des aktuellen Pandemiegeschehens, so präsent wie lange nicht mehr.

Die Kanalisation in Deutschland weist aktuell eine Länge von etwa 594.000 km auf. Der hohe Anschlussgrad von 98,2 % der Bevölkerung an die Entwässerungsnetze resultiert zwangsläufig in einer Verschiebung des Aufgabenschwerpunkts: weg von der Erschließung neuer Gebiete als Hauptaufgabe vergangener Jahrzehnte hin zu ordnungsgemäßem Betrieb sowie fortwährender Instandhaltung. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an das Kanalsystem in Bezug auf den erhöhten Schutz von Grundwasser und Gewässern sowie auf die Ableitung von Starkregenereignissen und damit einhergehenden Überflutungsschutz bei gleichzeitiger Reduzierung des Wasserverbrauchs innerhalb der Bevölkerung.

Es handelt sich hier um vergrabene Milliardenwerte, die in der Regel das größte Anlagevermögen einer jeden Kommune darstellen, über Abwassergebühren finanziert sind und dennoch stiefmütterlich behandelt werden.

Ausgehend von einer beabsichtigten Nutzungsdauer von durchschnittlich 60 bis 80 Jahren bereitet das durchschnittliche Alter von 36,9 Jahren sowie der vor kurzem von der Deutschen Vereinigung für Wasser, Abwasser und Abfall (DWA) veröffentlichte Zustand der Kanalnetze in Deutschland große Sorgen: Annähernd jeder fünfte Kanalabschnitt (18,7 %) weist sofortigen bis kurzfristigen Handlungsbedarf auf. 29,6 % der Kanäle erfordern mittelfristigen Handlungsbedarf, lediglich 26,9 % sind schadensfrei, wohingegen der Zustand von 24,8 % des Entwässerungssystems noch unbekannt ist.

Die durchschnittliche jährliche Erneuerungsrate ist seit Jahren rückläufig, wohingegen kurzfristig-orientierte, kostengünstige, lokal begrenzte Reparaturen ein Hoch erfahren. Jährlich werden nur 1 % des Kanalnetzes saniert, was in Anbetracht des hohen Anteils an kurzfristig orientierten Reparaturmaßnahmen sowie mit Bezug auf eine ursprünglich gedachte Nutzungsdauer von 80 Jahren deutlich zu niedrig ausfällt. Notwendige Gebührenerhöhungen, die sich für Bürgerinnen und Bürger mitunter im Nachkommabereich bewegen, werden politisch ignoriert; In Einzelfällen werden Gebühren sogar zweckentfremdet. Bestehende Verschuldung und Haushaltssperren vieler Kommunen tragen dabei nicht zu einer Entspannung der Situation bei. Das Verkommen der unterirdischen Infrastruktur ist damit vorprogrammiert.

Politische Forderungen


Die Aufrechterhaltung einer langfristig intakten Infrastruktur geht daher mit verschiedenen Forderungen gegenüber den Netzbetreibern sowie politischen Entscheidungsträgern einher. Dabei ist ein Abwenden von dem Gedanken der bloßen Daseinsvorsorge hin zur systematischen Bewältigung von Sanierungs- und Investitionsdefiziten erforderlich, um nachfolgende Generationen nicht „über Gebühr“ zu belasten:

1. Inspektionsraten steigern
Inspektionsraten sind zu steigern, sodass umweltrelevante Auswirkungen von Undichtigkeiten (Exfiltration von Abwasser und Infiltration von Grundwasser) frühzeitig vermieden werden. Zudem wird hierdurch die Datengrundlage zum Zustand des Kanalnetzes gegenüber der aktuellen Situation verbessert.

2. Erneuerungsrate erhöhen
Es besteht Bedarf einer grundlegenden Erhöhung der jährlichen Erneuerungsrate, sodass der Wert des Kanalnetzes langfristig erhalten bleibt. Eine Vielzahl an Reparaturen mit kurzfristiger Nutzungsdauer führt ansonsten mittelfristig zu einer Verschiebung des Sanierungsbedarfs.

3. Investitionen erhöhen
Die seit Jahren getätigten Investitionen reichen augenscheinlich nicht aus, den Sanierungsbedarf signifikant zu reduzieren. Hier bedarf es einer gezielten Erhöhung von Investitionen, um umfangreiche Sanierungsmaßnahmen umzusetzen.

4. Gebühren zweckgebunden einsetzen
Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass ihre Abwassergebühren zum Zweck von Bau, Betrieb und Instandhaltung von Bauwerken der Kanalisation effizient und effizient eingesetzt werden. Hier bedarf es erfahrungsgemäß einer stärkeren Unterstützung kleiner Kommunen, die mit einer Vielzahl an Aufgaben zu kämpfen haben.

5. Synergien nutzen
Eingriffe in den Straßenverkehr sollten zwingend in Abstimmung mit weiteren Beteiligten im Straßenraum geplant, koordiniert und durchgeführt werden. Hierdurch wird ein mehrmaliger Eingriff vermieden und Unmut bei Bürgerinnen und Bürgern reduziert.

6. Transparenz schaffen und Vertrauen bilden
Die Informationslage zum Zustand der Kanalisation ist in den überwiegenden Fällen nicht öffentlich einsehbar. Die Veröffentlichung von Netzzustandsinformationen bildet Vertrauen und schafft Akzeptanz für erforderliche Maßnahmen und notwendige Gebührenerhöhungen.

Fazit


Zur langfristigen Erhaltung der öffentlichen Entwässerungsnetze bedarf es einer ganzheitlichen Strategie, die die individuellen Belange aus der Perspektive kommunaler Netzbetreiber berücksichtigt. Die Kenntnis vom tatsächlichen Zustand der Kanalisation erweist sich dabei als ein zentraler Indikator zur Bewertung des Handlungsbedarfs. Aufbauend auf dieser Bewertung kann eine Prognosebetrachtung der Zustandsentwicklung, unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien (beispielsweise „weiter-so“, „Investitionen erhöhen“, „Erneuerungsrate erhöhen“), behilflich sein, den Beteiligten die Konsequenzen verschiedener Vorgehensweisen aufzuzeigen. Die aktuellen Befragungsergebnisse der DWA zeigen jedoch erneut, dass weiterhin Informationsdefizite bestehen, die die Entwicklung einer strategischen Vorgehensweise erschweren. Hier besteht Handlungsbedarf, um die Erhaltung der Kanalnetze nicht zu gefährden.

Autor: Lanzerath

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