Neubau des Nürnberger Strafjustizzentrums

Der Nürnberger Justizpalast hat einen Erweiterungsbau mit einem neuen großen Schwurgerichtssaal, weiteren Sitzungsräumen und Verwaltungsflächen bekommen. Als Fassade kamen sandgestrahlte sowie unbearbeitete großformatige Betonfertigteile in Sichtbetonqualität zum Einsatz. Das zeitgemäße Gebäude sorgt für ein repräsentatives Entrée und ergänzt kontrastreich den natursteinverkleideten Altbau.

Anfang März 2020 dieses Jahres hat das neue Strafjustizzentrum in Nürnberg still und leise seinen Betrieb aufgenommen. Die geplante Eröffnungsfeier musste aufgrund des Lockdowns in der Corona-Krise ausfallen. Der 30 Mio. € teure Erweiterungsbau entlastet den bestehenden Ostflügel des historischen Justizpalastes mit dem berühmten Saal 600. Hier fanden zwischen 1945 – 1946 die sogenannten Nürnberger Prozesse gegen die Kriegsverbrecher der NS-Regimes statt. Der Raum wird zukünftig als Museum für Besucher erstmals durchgängig zugänglich gemacht.

Für den Anbau hatte der Freistaat Bayern ein zwei Hektar großes angrenzendes Grundstück der Nürnberger Verkehrsbetriebe erworben und einen Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Die Herausforderung für die Architekten war groß: Das größte zusammenhängende Justizgebäude in Bayern sollte um weitere 3.500 m2 Nutzfläche ergänzt und in ein hochmodernes Sitzungsgebäude umgewandelt werden. Der Bau musste optisch mit dem denkmalgeschützten Justizpalast harmonieren und gleichzeitig eine hohe Sicherheit gewährleisten. Der Entwurf des Leipziger Büros ZILA Freie Architekten ging letztlich als Sieger hervor.

Betonfertigteile für Fassade und Tragwerk


Das neue Justizzentrum setzt das bestehende Ensemble aus kompakten, zueinander versetzten und miteinander vernetzten Blockstrukturen fort. Es gliedert sich in einen fünfgeschossigen Funktionsriegel und eine seitlich angelagerte dreigeschossige Treppenhalle. Im ersten und zweiten Obergeschoss sind Alt- und Neubau miteinander verbunden und ermöglichen so kurze Wege für die Mitarbeiter. Die Tragstruktur des Gebäudes besteht bis auf wenige Wände fast nahezu komplett aus Betonfertigteilen, beispielsweise die Stützen, Unterzügen und Decken. Die tragenden Teile sind grundsätzlich sichtbar, zusätzliche raumbildende Bauteile wurden mit Schattenfugen von den tragenden Bauteilen abgesetzt.

Schmale, hohe Fenster und eine Fassade aus hellen, großformatigen Betonfertigteilen, passend zur Sandsteinfarbe des benachbarten Gebäudes, prägen das äußere Erscheinungsbild. Rund 500 Elemente, eine Kombination aus sandgestrahltem Beton und unbearbeitetem Sichtbeton, kamen zum Einsatz. Durch die unterschiedliche Oberflächenbearbeitung sowie das Wechselspiel von verschiedenen Pfeilerbreiten, Geschosshöhen und Fassadentiefen entstand ein Bild differenzierter Homogenität. Durch den digitalen Planungsprozess mit BIM (Building Information Modeling) und die witterungsunabhängige Produktion der Teile im Werk konnte das Budget und der Zeitplan problemlos eingehalten werden.

Terrazzo im Innenbereich


Im Inneren führt sich der Kontrast in der Gestaltung fort. Die Kombination von Eichparkett in den Sitzungssälen und geschliffenem weißen Terrazzoboden in der Treppenhalle sorgt für eine warme Atmosphäre. Die sichtbaren Betonoberflächen ergeben mit den gewählten Fußbodenbelägen eine edle Einheit. Schwarze Türen, Sitzmöbel und Treppengeländer setzen weitere Akzente.

Gutes Raumklima


Der Anbau des Strafjustizzentrums wurde im Passivhausstandard errichtet. Neben üblichen Maßnahmen wie Dämmung der Außenhülle, mechanische Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, hybride Lüftung und Sonnenschutz wurden auch neue Technologien unter Einbeziehung der Vorteile des Baustoffs Betons eingesetzt. So werden die unbekleideten massiven Bauteile im Gebäude genutzt, um Wärmespitzen zu vermeiden. Im Sommer kann die Treppenhalle durch Nachtauskühlung über geöffnete Fenster angenehm temperiert werden, um die Raumtemperatur so zu stabilisieren. Die an die Kühlung der Sitzungssäle angeschlossene Deckenheizung der Verwaltungsbereiche kann zusätzlich dafür verwendet werden.

Modernste Sitzungstechnik


Sieben Sitzungssäle stehen in dem neuen Gebäude für Verhandlungen zur Verfügung. Im Keller befinden sich die Haftzellen für die Angeklagten. Die Sicherheitstechnik ist auf dem neuesten Stand. Die Gerichtssäle sind zudem mit modernster Technik ausgestattet, was den Prozessalltag extrem erleichtert. So kann der neue Schwurgerichtssaal per Knopfdruck in einen Kinosaal verwandelt werden, damit Fotos und Videos als Beweismittel gezeigt werden können. Per Internet könnten Zeugen live per Online-Konferenz befragt werden. Zudem verfügen die neuen Räumlichkeiten über eine hervorragende Akustik.

Dachbegrünung


Das Flachdach des Neubaus steht im Kontrast zum Satteldach des alten Justizpalastes, der im Stil der Neo-Renaissance errichtet worden ist. Die extensive Dachbegrünung sorgt für eine Reduzierung der Hitzeentwicklung und eine Rückhaltemöglichkeit von Niederschlägen. Mit der Installation von Sonnenkollektoren kommt zudem regenerative Energie zum Einsatz. Beides sind wichtige Aspekte, grade im Hinblick auf den Klimawandel.

Die Errichtung des Neubaus ist der erste Schritt zur geplanten Zusammenlegung der gesamten Nürnberger Strafjustiz auf diesem Gelände. In nachfolgenden Bauabschnitten sollen die derzeit noch auf mehrere Standorte verteilten Justizstellen zentral an der Fürther Straße zusammengeführt werden.

Bildrechte: © Koy+Winkel – Hemmerlein Ingenieurbau GmbH

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